Interview mit Patrick Wiederhake – Managing Director und Mitglied der Geschäftsführung von Profil M über Remote Leadership und Vertrauensbildung auf Distanz
Im Zuge der Corona-Pandemie hat auch das Themenfeld „Remote Leadership“ für viele Unternehmen und ihre Führungskräfte an Bedeutung gewonnen. Im Interview mit Kiwimo spricht Patrick Wiederhake sowohl über die Herausforderungen und Möglichkeiten von Remote Leadership als auch über Vertrauensbildung auf Distanz. Profil M ist seit mehr als 20 Jahren national sowie international tätig und kann eine Reihe von DAX-Konzernen und MDAX-Unternehmen zu seinen langjährigen Kunden zählen.
Über Patrick Wiederhake
Patrick Wiederhake ist Berater und Mitglied der Geschäftsführung bei Profil M. Der Diplom-Psychologe mit Weiterbildung in klärungsorientierter Psychotherapie kommt aus dem Ruhrgebiet und ist Experte in den Gebieten moderner Führungs- und Entwicklungskulturen. Wiederhake blickt auf 20-jährige Berufserfahrung zurück und begleitet in seiner Funktion Unternehmen in den Themenfeldern bei Executive Assessment, Potenzialanalyse und Management-Diagnostik.
Patrick Wiederhake: Wenn man sich dem Begriff wörtlich nähert, dann bedeutet Remote Leadership zunächst einmal Führung aus der Ferne. Es kommen dann schnell eine Reihe von Fragen auf: Was fehlt eigentlich, wenn man nicht im gleichen Büro oder Gebäude zusammenarbeitet? Warum ist das auf einmal eine andere Art der Führung? Was macht das eigentlich mit der Führungskraft?
Kiwimo: Handelt es sich bei Remote Leadership um etwas, das erst im Zuge der Corona-Pandemie wichtig geworden ist oder war das bereits zuvor ein großes Thema bei Ihnen?
Patrick Wiederhake: Remote Leadership gab es natürlich vorher schon. Unser Unternehmen betreut viele internationale Konzerne, die schon vor Jahren Teams hatten, die über die ganze Welt verteilt waren. Am einzelnen Standort gab es dann immer eine Führungskraft, welche die Verantwortung vor Ort getragen hat. Gleichzeitig saß aber die eigentliche Führungskraft, die beispielsweise im HR Bereich fachlich relevant war, am anderen Ende der Welt. Es ist also kein wirklich neues Thema.
Neu ist hingegen, dass viele Menschen wegen Corona nicht mehr vor Ort führen konnten und sich stattdessen an Remote Leadership gewöhnen mussten. Diese Führungskräfte haben gewissermaßen einen Zwang erlebt, aus der Distanz zu führen, weil es auf Grund des Lockdowns nicht anders möglich war.
Kiwimo: Dieser abrupte Wechsel von vor Ort zu remote hat wahrscheinlich viele Führungskräfte zu Beginn überfordert. Was haben Sie da mitbekommen?
Patrick Wiederhake: Viele Führungskräfte haben sicherlich einen sehr großen Druck erlebt. Sie tragen häufig nicht nur eine allgemeine Führungsverantwortung, sondern auch eine inhaltliche Verantwortung. Beides hat sich durch die neue Arbeitssituation verändert. Neben dieser Doppelbelastung kam es durch das gemeinsame Experimentieren und Entdecken von neuen Möglichkeiten, aber auch zu einem hohen Kompetenzerleben. Insgesamt würde ich das Ganze also nicht nur negativ betrachten. Aber es kann nicht verneint werden, dass die neue Situation mit starken Belastungen verbunden gewesen war.
Kiwimo: Was muss man machen, wenn man als Führungskraft sagt: ‚Ich möchte auf den neuen Hype aufspringen und auch abseits von Corona virtuell führen‘. Welche Dinge gilt es auf jeden Fall zu beachten?
Patrick Wiederhake: Meine etwas provokante Antwort wäre erst mal zu sagen: Lassen sie es. Es nicht ratsam, nur auf den Zug aufzuspringen, weil Remote Leading ein aktuelles Trendthema ist. Vielmehr sollte man sich zunächst fragen: Warum will ich das eigentlich? Wie wollen wir in Zukunft unsere Arbeit organisieren? Was braucht unsere Zusammenarbeit für die Zukunft? Wenn Sie nach der Beantwortung dieser Fragen denken, dass Remote Leading und Homeoffice zu ihrem Unternehmen passen, können sie sich näher ich mit dem Thema beschäftigen.
Ich will an dieser Stelle erneut betonen, dass es ein ganz zentraler Punkt ist, zu verstehen: Warum will man das eigentlich machen und was erhofft man sich davon? Im Übrigen spielt hier auch die Unternehmensleitung eine wichtige Rolle. Anstatt Remote Leading von oben herab anzuordnen, sollten die Führungskräfte in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Im besten Fall findet man dann gemeinsam heraus, warum man eigentlich Homeoffice im Unternehmen einführen möchte.
Zwei weitere Aspekte erscheinen mir ebenfalls wichtig: Zum einen muss man sich anschauen, wie das ganze technisch funktioniert: Hierbei geht es vor allem um organisatorische Fragen. Es betrifft aber auch die Führungskraft selbst, die sich fragen sollte, wie sie auf die veränderte Arbeits- und Führungssituation reagiert. Ich habe den Eindruck, dass dieser Aspekt häufig unterschätzt wird. Denn auf das unbewusst ausgelebte Kontroll- oder Sicherheitsbedürfnis – ich sehe, was die Mitarbeitenden gerade tun – muss verzichtet werden. Es ist folglich notwendig, eine Art von Vertrauensbildung auf Distanz zu etablieren. Und das betrifft sowohl die Mitarbeitenden als auch die Führungskräfte.
„Auf das unbewusst ausgelebte Kontroll- oder Sicherheitsbedürfnis – ich sehe, was die Mitarbeitenden gerade tun – muss verzichtet werden. Es ist folglich notwendig, eine Art von Vertrauensbildung auf Distanz zu etablieren.“
Patrick Wiederhake – Managing Director und Mitglied der Geschäftsführung von Profil M im Kiwimo Interview
Kiwimo: Welche Möglichkeiten haben Führungskräfte, Vertrauen über Distanz aufzubauen?
Patrick Wiederhake: Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass man auf der strukturellen Ebene diesen Bedarf nach Vertrauen ernst nimmt und einbaut. Das kann beispielsweise in Form von Regelmeetings geschehen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, genug Zeit für informelle Meetings einzuplanen, da die Begegnungen am Kaffeeautomaten oder das gemeinsame Mittagessen wegfallen. Es erscheint deshalb für Führungskräfte ratsam, eine Art virtuelle Tür abzubilden, die sagt: Ja, ich bin verfügbar. Ich bin ansprechbar. Ich will nicht immer kontrollieren, sondern ich schaue mir die Arbeitsergebnisse an.
Vertrauen bildet man schließlich dadurch, dass man erst mal einen Vertrauensvorschuss gibt. Die Führungskraft muss sich dabei fragen, mit welcher Einstellung sie an die Zusammenarbeit auf Distanz herantritt. Besteht die Grundhaltung, dass bei zu wenig Kontrolle unerwünschte Dinge passieren? Oder wird davon ausgegangen, dass die Mitarbeitenden im besten Sinne des Unternehmens handeln? Das alles hängt natürlich auch immer vom Reifegrad der Mitarbeitenden ab. Dennoch ist es ganz entscheidend, dem Reflex zu widerstehen, immer wissen zu wollen, was gerade passiert.
Kiwimo: Sie haben bereits gesagt, dass die Einführung von Homeoffice kein Selbstzweck ist, sondern aus betrieblichen Gründen geschehen sollte. Sollte die Entscheidung dafür oder dagegen in den oberen Etagen getroffen werden, oder sollte man die Mitarbeitenden in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen?
Patrick Wiederhake: Wir haben während der Pandemie erlebt, dass die Menschen von heute auf morgen von zu Hause aus arbeiten mussten. Viele haben diese Arbeitssituation als durchaus positiv empfunden und sich über die damit verbundenen Freiheiten gefreut. Aus diesem Gefühl heraus entstand dann bei einigen der Wunsch, auch nach dem Lockdown weiterhin Homeoffice zu machen. Es hat sich aber auch schnell gezeigt, welche Nachteile das Homeoffice mit sich bringt. So haben viele Probleme damit gehabt, die Arbeit von zu Hause mit der eigenen Familie und den räumlichen Verhältnissen unter einen Hut zu bringen.
Um aber Ihre Frage zu beantworten: Man muss überhaupt erst mal verstehen, in welche Situation man die Mitarbeitenden schickt, wenn Homeoffice eingeführt wird. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Folgen ausschließlich positiv sind. Es gibt auf der einen Seite die Prozess- und Strukturfragen: Würde es unseren Prozessen helfen? Würden wir flexibler und schneller sein, wenn wir Kapazitäten im Büro einsparen? Auf der anderen Seite gibt es natürlich noch die Komponente Arbeitsmarkt. Hierbei gilt es herauszufinden, welchen Bedarf die Kolleginnen und Kollegen vermitteln. Gleichzeitig sollte man sich auch fragen, welche Erwartungen zukünftige Bewerberinnen und Bewerber haben könnten.
„Man muss überhaupt erst mal verstehen, in welche Situation man die Mitarbeitenden schickt, wenn Homeoffice eingeführt wird. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Folgen ausschließlich positiv sind.“
Patrick Wiederhake – Managing Director und Mitglied der Geschäftsführung von Profil M im Kiwimo Interview
Generell sollte man immer bedenken, dass sich die einzelnen Branchen in ihrer Haltung zu Homeoffice unterscheiden: Wie groß ist der Wunsch nach Arbeit auf Distanz? Wie sehr wird der klassische Zusammenhalt im Unternehmen gefordert? Diese Dinge müssen zunächst geklärt werden und dann kann man ausloten: Was ist für das eigene Unternehmen das richtige Maß und was sind die nächsten Schritte.
Kiwimo: Welche Möglichkeiten hat man als Führungskraft im Homeoffice vor allem introvertierte Mitarbeitende zu erreichen, die nicht aktiv nach einem Gespräch suchen?
Patrick Wiederhake: Im Büro haben sie natürlich immer die Möglichkeit, mithilfe des Gesichtsausdrucks oder der Körperhaltung zu erahnen, wie es dem Mitarbeitenden geht. Diese Möglichkeit gibt es im Homeoffice nicht. Darum ist es umso wichtiger, als Führungskraft offen zu thematisieren, dass es im Homeoffice nicht den regelmäßigen Kontakt gibt, man aber verstehen will, wie es der anderen Person geht. Dabei ist es wichtig zu erklären, dass das keineswegs eine Kontrolle ist.
Interessanterweise haben wir beobachtet, dass die introvertierteren Menschen oftmals von der veränderten Arbeitssituation während der Pandemie profitiert haben. Das lässt sich durch das befreite Arbeiten ohne die starken sozialen Anforderungen erklären. Dennoch besteht natürlich immer die Gefahr einer Isolation. Gegen diese Gefahr muss die Führungskraft immer wieder mit kleinen Schritten gegensteuern und zum Gespräch einladen. Aber es kann natürlich nichts erzwungen werden.
Gegen Ende des Interviews noch eine Klassiker-Frage: Warum sollte man als Führungskraft ein Interesse daran haben, dass die Mitarbeitenden motiviert sind und Spaß bei der Arbeit haben?
Patrick Wiederhake: Auf die Frage kann man eine ethisch moralische und eine pragmatische Antwort geben. Von einem ethischen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist es unsere Aufgabe als Gesellschaft, Arbeit so zu organisieren, dass das Recht der Mitarbeitenden auf individuelle Entfaltung gewahrt bleibt – natürlich in Vereinbarung mit den wirtschaftlichen Zielen des Unternehmens. Die pragmatische Antwort auf die Frage ist folgende: In den allermeisten Brachen können sie als Unternehmen nicht mehr erfolgreich sein, wenn sie nach außen der Eindruck erwecken, die Mitarbeitenden zu kontrollieren und schlecht zu behandeln. Die Menschen haben schon immer den Wunsch gehabt, in ihren Arbeitsverhältnissen gut behandelt zu werden. Aber die Machtverhältnisse haben sich total geändert. Insbesondere in den gut ausgebildeten Kreisen können sich die jüngeren Menschen die Jobs häufig aussuchen.
„In den allermeisten Brachen können sie als Unternehmen nicht erfolgreich sein, wenn sie nach außen den Eindruck erwecken, die Mitarbeitenden zu kontrollieren und schlecht zu behandeln.“
Patrick Wiederhake – Managing Director und Mitglied der Geschäftsführung von Profil M im Kiwimo Interview
Kiwimo: Zum Schluss noch die Frage nach Ihren Top 3 Trends in HR für die nächsten Jahre. Was muss ein Personalmanager unbedingt auf dem Schirm haben?
Patrick Wiederhake: Auf Platz 1 : Daten. Dann auf Platz 2: ebenfalls Daten. Und Platz 3 ist für mich die Schnittstelle von Kulturentwicklung und Mensch. Personalentwicklung ist noch immer die Trennung im Unternehmen zwischen der Personalentwicklung als Arbeit mit den Individuen und der Organisationsentwicklung als Arbeit mit den Strukturen. Das ist meiner Ansicht nach keine gute Lösung und sollte stattdessen Hand in Hand gehen. Ich plädiere dafür, ganzheitliche Angebote zu machen, die an der Schnittstelle Organisation und Mensch gleichermaßen ansetzen.